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Die Havening-Technik ist eine psychosensorische Methode zur emotionalen Selbstregulation und Verarbeitung von belastenden Erinnerungen. Sie wurde vom amerikanischen Arzt und Neurobiologen Dr. Ronald A. Ruden entwickelt und verbindet Elemente aus der Neurowissenschaft mit körperzentrierten Interventionen.

Der Begriff „Havening“ leitet sich vom englischen “haven” ab, was so viel wie “Zufluchtsort” oder “sicherer Hafen” bedeutet. Ziel ist es, über spezifische Berührungsreize einen Zustand emotionaler Sicherheit zu erzeugen, in dem das Gehirn traumatische Codierungen nachhaltig verändern kann.

Wirkweise und Ablauf

Havening basiert auf der Kombination dreier zentraler Elemente:

  1. Havening Touch: Sanftes, rhythmisches Streichen über Arme, Gesicht oder Hände
  2. Kognitive Ablenkung: Zählen, Singen oder Visualisieren
  3. Aktivierung eines emotionalen Themas: Fokussierung auf eine belastende Erinnerung oder ein Gefühl

Durch diese Reizkombination wird ein Zustand tiefer Entspannung erzeugt, der neurobiologische Prozesse aktiviert. Ziel ist es, die neuronalen Verbindungen, die mit emotional belastenden Erinnerungen verknüpft sind, zu depotenzieren, also zu entkoppeln. Die Erinnerung bleibt bestehen, verliert jedoch ihre emotionale Ladung.

Neurobiologischer Hintergrund

Im Zentrum der Methode steht die Amygdala, eine Hirnstruktur, die für emotionale Bewertung und Alarmreaktionen verantwortlich ist. Traumatische Erlebnisse verankern sich hier in Form starker neuronaler Verknüpfungen. Diese Verbindungen können durch gezielte Stimulation und sichere Umgebung neu bewertet und verändert werden.

Während des Havening-Prozesses werden über die Berührung Delta-Gehirnwellen angeregt, wie sie im Tiefschlaf vorkommen. Gleichzeitig wird der Vagusnerv stimuliert, was zu einer Aktivierung des Parasympathikus führt – dem Teil des autonomen Nervensystems, der für Ruhe, Regeneration und Heilung zuständig ist.

Parallel dazu kommt es zur Ausschüttung neurochemischer Botenstoffe wie Serotonin, GABA und Dopamin, die stimmungsregulierend und angstlösend wirken.

Forschungslage und wissenschaftliche Perspektive

Eine britische Pilotstudie (Thandi et al.: Impact of a Single-Session of Havening, 2015) untersuchte die Wirkung einer einzigen Havening-Sitzung bei 27 Personen mit beruflicher Einschränkung durch Angst und Depression. Die Ergebnisse zeigten signifikante Verbesserungen bei allen erhobenen Skalen (PHQ-9, GAD-7, WSAS), die auch nach zwei Monaten noch anhielten.

Havening knüpft darüber hinaus an aktuelle Erkenntnisse der Gedächtnisrekonsolidierung an: Wissenschaftliche Studien zeigen, dass emotionale Erinnerungen in einem sogenannten “Reconsolidation Window” gezielt verändert werden können, vorausgesetzt, der Organismus befindet sich in einem Zustand emotionaler Sicherheit und neuronaler Plastizität.

Diese Verbindung zur neurobiologischen Forschung macht Havening zu einer der wenigen Methoden, die emotionale Heilung mit modernem Verständnis des Gehirns kombinieren.

Abgrenzung zu verwandten Methoden

Havening wird häufig mit EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) oder EFT (Emotional Freedom Techniques) verglichen. Während EMDR primär mit Augenbewegungen und EFT mit Akupunkturpunkten arbeitet, setzt Havening auf rhythmische Berührung, die gezielt das Delta-Wellen-Spektrum und den Parasympathikus anspricht.

Im Unterschied zur klassischen Gesprächstherapie liegt der Fokus weniger auf kognitivem Verstehen, sondern auf emotionaler Entkopplung und körperbasierter Integration.

Anwendungsgebiete

Die Havening-Technik wird eingesetzt bei:

  • akuter emotionaler Belastung (z.  Konflikte, Schockreaktionen)
  • chronischem Stress und Ängsten
  • traumatischen Erinnerungen (in professioneller Begleitung)
  • inneren Blockaden und Selbstwertthemen
  • emotionaler Vorbereitung auf Prüfungen, Auftritte oder Gespräche

Sie eignet sich sowohl zur Selbstanwendung (Self-Havening) als auch zur begleiteten Anwendung durch zertifizierte Practitioner. Besonders im Coaching und in der psychosomatischen Praxis zeigt sie Potenzial als ergänzende Methode zur klassischen Therapie.

Varianten und Anwendungshinweise

Neben der Basisform, dem Event Havening, existieren erweiterte Anwendungen:

  • Transpirational Havening: Fokus auf wiederholte Benennung belastender Gefühle
  • Affirmational Havening: Einprägen positiver Selbstbilder
  • Outcome Havening: Umschreiben und Neugestalten belastender Erinnerungen

Für die Anwendung gilt: Die Methode ist sicher, sanft und gut steuerbar. Bei intensiven Emotionen sollte ausreichend Zeit zur Nachruhe eingeplant werden. Erste körperliche Reaktionen wie Gähnen, Zittern oder Tränen sind Ausdruck emotionaler Entladung und können als Zeichen beginnender Regulation gewertet werden.

Fazit

Die Havening-Technik verbindet fundierte Neurowissenschaft mit einfacher Anwendung. Als Werkzeug zur Selbstberuhigung und emotionalen Verarbeitung eröffnet sie neue Wege im Umgang mit Stress, Trauma und innerem Wachstum. Ihre Stärke liegt in der Verbindung von Körper, Gefühl und neuronaler Plastizität – und damit in ihrer Fähigkeit, echte Veränderung von innen heraus zu ermöglichen.

Eine ausführliche Beschreibung mit praktischen Tipps zur Anwendung findest du in meinen Blogbeitrag: „Havening: Wie sanfte Berührung dein Gehirn neu vernetzt„.